Tagebucheintrag eines Schwedentörns
Für alle, die sich irgendwie nicht vorstellen können, was am Segeln so toll sein kann. Ein Tag in Schweden.
von Heinrich Rathje
Vorgeschichte 1: Ich kenne Rainer Rehbehn schon seit mehr als 30 Jahren. Wir haben nie etwas miteinander zu tun gehabt. Obwohl wir seit mehr als zehn Jahren in derselben Straße wohnen. Als ich vor einigen Jahren begann, in der Folkebootszene mitzusegeln, da sah ich ihn öfter. Man grüßte sich, das war es dann. Dann traf ich ihn mal bei einem Geburtstag. Er erzählte mir, er habe sich ein Boot gekauft. Ob ich mal mitsegeln wolle. Das habe ich dann ein halbes Jahr später gemacht. Er wusste gar nicht, dass ich schon etwas Fahrtensegelerfahrung hatte. Er schwärmte mir vor, dass es sein großer Traum sei, einmal nach Stockholm zu segeln. „Mach‘ doch“, sagte ich. Wenn es an der fehlenden Mannschaft läge: ich würde ihn schon begleiten.
Vorgeschichte 2: Immer wenn ich neue Gäste habe und die sehen, wie dicht ich am Hafen wohne und wie viele Segelboote es gibt, dann wird automatisch vermutet, dass ich doch „ganz bestimmt“ auch ein Boot habe. Ich erkläre dann stets, dass ich doch nicht so dumm sei. Es gibt allein in dem Hafen über 1000 Boote. Wenn es hoch kommt, dann gibt es 200 funktionierende Mannschaften. Alle anderen Eigner müssen sich durchfragen, ob jemand Lust hat, Zeit hat, segeln kann, Lust auf das Ziel hat – zu denen will ich nicht gehören. Ich gehöre zu denen, die gefragt werden.
Vorgeschichte 3: Im Winter hat Rainer sich ein sehr gutes Konzept ausgedacht. So und kaum anders kann man ein Boot sinnvoll betreiben: Die erste Etappe segelt er mit seiner Tochter von Kiel nach Trelleborg. Die Zweite Etappe mit mir nach Nyköping. Die dritte Etappe mit seiner Frau bis zum Eingang des Götakanals. (Das würde mit fast drei Wochen der längste Abschnitt.) Dann fährt er mit seiner Frau nach Hause und sein Sohn mit Freundin und einem Freund übernimmt das Schiff und fährt durch den Götakanal. (Knapp zwei Wochen.) Dann gehen die drei von Bord und er kommt mit der Fähre nach Göteborg und segelt allein nach Kiel.
Die Reise
Kurzform: Zu diesem Segeltörn bin ich mit der Fähre von Travemünde angereist und in Gislövsläge an Bord gegangen. Dann ging es über Skillinge, Utklippan, Kristianopel, Kalmar, Byxelkrog und einer Schäre bis nach Nyköping - von dort mit Bus und Bahn wieder nach Kiel. 6. bis 16. Juli. Das Boot ist eine Pitea Nautic W30 Kompromiss.
Ich versuche mal am Beispiel eines einzigen Tages zu zeigen, was für mich den Reiz so einer Tour ausmacht. Wir haben wegen eines Motorproblems an einer Schäre geankert (statt an ihr festzumachen).Stora Munkholmen wird es gewesen sein, wenn ich jetzt versuche, das mit Google Earth zu rekonstruieren. 58.22 N,16.90 O, dicht bei Kråkmarö Fyrskär 1
Aufwachen mitten in der Natur. Kein Haus zu sehen. Einige Möwen haben sich etwas zu erzählen, das Wasser ist spiegelglatt, die Sonne wärmt schon angenehm. Alles ist still ringsumher. Leichter Dunst nimmt den Konturen der Schären ihre Schärfe. Wir kochen Kaffee, genießen das Frühstück und sehen etwas entfernt die ersten Boote vorbeiziehen. Einige kennen wir, die haben auch in Kalmar gelegen oder in Byxelkrog. Die tuckern mit Motor ihren Zielen entgegen. Zum Segeln ist kein Wind da. Dann beginnt sich das Wasser hier und da zu kräuseln: das Zeichen für den Aufbruch. Der Anker wird aufgeholt, die Segel gesetzt und leise setzt das Boot sich in Bewegung. Mag der Wind auch schwach sein, so stimmt die Richtung doch so leidlich. Wir gleiten zwischen den Schären hindurch. Sind sie hoch, so kommt der Wind plötzlich aus einer ganz anderen Richtung oder streift nur die oberen Teile des Segels, sind sie flach, so irritieren sie den Wind kaum. Langsam sehen wir mehr Leben. Jemand, der sein Sommerhaus auf einer Schäre hat, tuckert zum Brötchenkauf los, andere Boote streben in unsere Richtung, wenige kommen uns entgegen. Langsam wird es Zeit, die Sonnencreme (Daylong extreme 50+) aufzutragen und den Sonnenhut aufzusetzen. Inzwischen ist es belebter um uns herum, es gibt auch Gegenkommer. Mit denen muss man sich arrangieren, denn die segeln platt vorm Laken und wir kreuzen, kreuzen, kreuzen. Das ist besonders spannend, wenn man sich in engen Passagen begegnet. Backborbug vor Steuerbordbug. Die Gegenkommer segeln platt vorm Laken, die einen auf Backbordbug, die anderen auf Steuerbordbug – und wir wechseln alle zwei Minuten den Bug. Aber man ist nett zueinander. Die Gegenkommer wissen, dass wir es schwerer haben als sie und nehmen Rücksicht. Man grüßt sich.
An einigen Schären segeln wir auf Armeslänge vorbei, andere haben schlummernde Wale um sich herum, einige sind nackte Felsen und andere bieten Gräsern, Blumen. Büschen oder gar Bäumen karge Heimat. Hier und da steht ein Haus auf einer Insel, manche sehr bescheiden und anderen sieht man an, dass die Besitzer ihr Geld nicht mit dem Verkauf von "Hempels" verdienen. Es gibt auch Restaurants auf Schären. Manchmal das einzige Anwesen. Da ist dann am Wochenende High Life, man tuckert, segelt oder rudert dort hin, trinkt Kaffee und am Abend geht es wieder zurück. Ziemlich populär dort. Zwischendurch gibt es immer wieder größere freie Wasserflächen, dann führt uns der Kurs wieder durch sehr enge Passagen. Rainer navigiert, ich sitze am Ruder. Er achtet mehr auf die Segel als ich, er ist halt immer auf ein Quäntchen mehr Speed bedacht. Ich beobachte eher, sehe die Tonnen und Seezeichen bevor er sie ankündigt und verdiene mir ein Lob für eine empfindsame Hand am Ruder. Er vergleicht beständig Karten und Plotter, markiert Seezeichen und Schären mit Tape, macht Notizen und arbeitet sich so in das Navigieren in diese Art Gewässer ein. Um viertel nach Zwölf gibt es für jeden einen Zigarillo. Eine nette Sitte an Bord.
In der Ferne ziehen bedrohliche Wolken auf; werden sie uns Unangenehmes mitbringen? Sie bleiben weit weg oder lösen sich auf. Zwischendurch frischt der Wind auf, das Boot legt sich auf die Seite und macht ordentlich Fahrt. Gischt schäumt auf. "Die Bäckermützen werden rausgeholt," sage ich. Hin und wieder werden wir nassgespritzt. Reffen oder nicht? Nicht reffen! Die Segel werden anders getrimmt, das Boot wird richtig schnell. Der vorherrschende Farbton ist grau, nur eine Bake leuchtet Neongrün als ob in ihr viele, viele Watt am Werken sind, dabei reflektiert sie nur die Sonne. Schien am Morgen das Maximalziel des Tages noch arg ambitioniert, so rückt es doch in greifbare Nähe.
Was immer der Wind auch macht, er kommt nie von hinten. Rainer fotografiert und filmt. In der Ferne tauchen Umrisse von Industrie auf. Oxelösund. Wieder tauchen wir in die Schären ein. Eine Rotte von Booten in klassischem Design kommt uns entgegen, deren Wind weht um 180 Grad anders als unserer. Wir passieren wieder eine Gegend mit Sommerhäusern der gehobenen Kategorie. Vor einem Haus steht eine Frau in ihrem Garten und winkt uns fröhlich und ausdauernd zu. Wir vermuten, sie hat unsere Nationalität erkannt. Deutsche sind nicht nur unbeliebt.
Nun haben wir die hässliche Seite des Ortes erreicht. Den Industriekai passieren wir sehr eng, auf der anderen Seite des Fahrwassers haben Kormorane alle Bäume auf einigen Schären totgekotet. Ein letztes Mal geht es über weitestgehend freies Wasser. Eine deutlich größere Yacht aus den Niederlanden hat das gleiche Ziel, macht es sich aber bald mit Hilfe des Motors viel bequemer. Wieder geht es auf eine Enge zu. Bei der Einfahrt haben wir dann die Hilfe zweier Jugendlicher in Anspruch genommen und haben uns um zwei Ecken schleppen lassen, bevor wir uns zutrauten, den Rest zu segeln. Auch keine Übung für Amateure. Sie bekommen zum Dank ein paar Flaschen Bier. Die Rinne ist kaum breiter als das Boot lang, an beiden Seiten wird es sofort sehr flach und der Wind kam 100% genau von vorn. Wir fanden einen sehr guten Liegeplatz und das Anlegen ohne Motor war kein Problem. Am Boot gab es nicht viel aufzuklaren. Wir gönnten uns jeder eine Tehatrillo von Tabak Trennt und ein Glas "Old Monk" (der auch dem Boot den Namen gab). Ein warmes Abendessen bringt frische Energien.
Ein Erkundungsgang in die Stadt, sehen wo Duschen und Bäcker sind, Burg und Schaufenster ansehen, einen Moment an der Brücke neben der alten Burg verweilen und den Enten zuschauen, wie sie in den Strudeln abtauchen, rund zehn Meter weiter flussabwärts hochkommen und geschickt Neerströme ausnutzend, fix wieder am Ausgangspunkt sind, Beurteilung und Bewunderung für einige sehr alte Motorboote und gemütlich, besinnlich lässt man den Tag an Bord mit einem Glas Rotwein ausklingen, freut sich, dass es so weit im Norden noch so lange hell ist, dass man während der ganzen Nacht sehen kann, wo die Sonne steht, und dass der Mond langsam zunimmt.
Wir haben uns nicht nur an dem Abend gegenseitig gesagt: "Was haben wir es doch toll!"